Der als „Widerrufsjoker“ bekannte Trick kann unter Umständen auch für Diesel-Besitzer funktionieren, ist aber an einige Bedingungen gebunden und die Rechtslage ist an vielen Stellen noch nicht eindeutig.
Verbraucher werden den „Widerrufsjoker“ häufig dann nutzen wollen, wenn sie einen Diesel-Pkw finanziert haben, der vom Diesel-Skandal betroffen ist. Der Widerrufsjoker kann aber – wenn die notwendigen Voraussetzungen vorliegen – grundsätzlich bei jedem finanzierten PKW eingesetzt werden, wenn dies für den Verbraucher (wirtschaftlich) sinnvoll ist. Etwa bei einem „Montagsauto“.
Generell gilt: Wenn Sie überlegen, den „Widerrufsjoker“ zu nutzen, lassen Sie sich unbedingt rechtlich beraten.
Kann ich meinen alten Diesel zurückgeben, wenn ich jetzt die Finanzierung widerrufe?
Grundvoraussetzung für den Widerruf ist, dass der Kauf des Autos und der Finanzierungsvertrag rechtlich verbunden sind. Das ist in der Regel der Fall, wenn der Finanzierungsvertrag über den Händler gelaufen ist.
Weitere Voraussetzung ist, dass der Kreditvertrag fehlerhaft war. Nach dem jetzigen Stand der Rechtsprechung hat der Kunde in vielen Fällen ein Recht zum Widerruf, weil die finanzierende Bank zum Beispiel keine oder unvollständige Angaben darüber gemacht hat, ob und wie der Kunde den Vertrag vorzeitig beenden kann. So hat bereits eine signifikante Anzahl von Landgerichten im Sinne der Verbraucher geurteilt. Nachfolgend eine Auswahl von verbraucherfreundlichen Entscheidungen:
- Landgericht Arnsberg, Urteil vom 17.11.2017, Aktenzeichen: 2 O 45/17 (nicht rechtskräftig)
- Landgericht Berlin, Urteil vom 05.12.2017, Az: 4 O 150/16 (gegenstandslos)
- Landgericht Berlin, Urteil vom 15.02.2019, Az: 4 O 20/18 (nicht rechtskräftig)
- Landgericht Ellwangen, Urteil vom 25.01.2018 Az: 4 O 232/17 (nicht rechtskräftig)
- Landgericht München I, Urteil vom 09.02.2018, Az: 29 O 14138/17 (nicht rechtskräftig)
- Landgericht Stuttgart, Urteil vom 22.03.2018, Az: 14 O 340/17 (nicht rechtskräftig)
- Landgericht Wiesbaden, Urteil vom 09.08.2018, Az: 9 O 143/18 (nicht rechtskräftig)
- Landgericht Erfurt, Urteil vom 08.03.2019, Az: 9 O 480/18 (nicht rechtskräftig)
Allerdings sind diese Urteile noch nicht rechtskräftig. Gerichte in einer höheren Instanz können also anders urteilen. Zudem haben auch schon einzelne Landgerichte Verbraucherklagen abgewiesen:
- Landgericht Düsseldorf (Az. 11 O 37/17),
- Landgericht Köln (Az. 21 O 23/17)
Ein neuer Ansatz für einen Widerruf könnte sich aus der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) vom 26. März 2020 (Aktenzeichen C-66/19) ergeben. Die Entscheidung betrifft das Widerrufsrecht bei (allgemeinen) Verbraucherdarlehen und erweitert möglicherweise den Kreis der Fehler in Widerrufsbelehrungen und Pflichtinformationen. Dies würde sich auch auf entsprechende Autofinanzierungen auswirken. Siehe hierzu auch unseren separaten Beitrag.
Der Widerruf ist in meinem Fall möglich! Bekomme ich jetzt mein Geld zurück?
Wenn Sie die Finanzierung widerrufen, werden beide Verträge rückabgewickelt: der Kreditvertrag und der Kaufvertrag für das Auto. Den finanzierten Pkw müssen Sie dann zurückgeben.
Wenn die Widerrufserklärung bei der Bank eingegangen ist, müssen Sie keine Zinsen und Tilgungszahlungen mehr überweisen. Bereits gezahlte Raten können Sie vom Kreditgeber zurückverlangen.
Die Bank hat allerdings im Gegenzug einen Anspruch auf die vertraglich vereinbarten Kreditzinsen, denn Sie haben den Kredit für eine gewisse Zeit ja in Anspruch genommen. Das gilt von der Auszahlung des Kreditbetrags bis zum Zeitpunkt des Widerrufszugangs.
Aber mein Geld – abzüglich der Kreditzinsen bis zum Widerruf – bekomme ich?
So einfach ist das leider nicht. Grundsätzlich müssen Sie nach dem Widerruf von Finanzierungsverträgen dem Händler einen Wertersatz dafür zahlen, dass Sie den Pkw gefahren haben.
Einige Juristen vertreten zwar die Ansicht, dass bei Widerruf eines Finanzierungsvertrages, der nach dem 13. Juni 2014 abgeschlossen wurde, kein Nutzungswertersatz anfällt. So sieht es auch das Landgericht Berlin in seinem Urteil vom 15.02.2019, Az: 4 O 20/18. Das Landgericht hat entschieden, dass wegen der fehlerhaften Widerrufsbelehrung auch kein Wertersatz geschuldet sein soll. Im Ergebnis durfte die Bank damit nur die für den Kredit gezahlten Zinsen behalten. Der PKW wurde damit vom Kläger quasi „kostenlos“ gefahren. Das Urteil ist aber noch nicht rechtskräftig und die Mehrzahl der uns bislang bekannt gewordenen gerichtlichen Entscheidungen, die Verbrauchern ein Widerrufsrecht zubilligen, sieht dies deutlich anders. Danach ist nicht auszuschließen, dass wenigstens für die mit dem Pkw gefahrenen Kilometer ein Wertersatz zu leisten ist.
Der wird aber nicht pauschal pro Kilometer angesetzt. Die Berechnung ist komplizierter: Die gefahrenen Kilometer werden mit dem Bruttokaufpreis des Fahrzeugs multipliziert und durch die zu erwartende Restlaufleistung des Fahrzeuges (zum Zeitpunkt des Kaufes) dividiert. Sind Sie also bis zum Widerruf 50.000 Kilometer mit dem Auto gefahren und hat das Auto 10.000 Euro gekostet, müssten Sie bei einer anfangs erwarteten Restlaufleistung von 100.000 Kilometern 5000 Euro Wertersatz für die Nutzung zahlen.
Zusätzlich müssen Sie damit rechnen, dass Sie Ersatz für einen Wertverlust des Pkw zahlen müssen, wenn der höher ist als üblich. Das kann zum Beispiel jeder Schaden am Fahrzeug sein, der durch eine längere oder intensivere Nutzung verursacht wird, z. B. Parkrempler, starke Innenraumverschmutzung.
Der Umfang der Ersatzansprüche wird durch zu erwartende Gerichtsurteile bestimmt.
Der genaue Wertersatz kann erst zum Zeitpunkt der Rückgabe des Pkw festgesetzt werden, also nach dem Widerruf, gegen Erstattung des Geldes. Gibt es aber über Widerruf und Gelderstattung einen Rechtsstreit, erfolgt die Übergabe des Autos meist erst nach einem abschließenden Urteil. So ein Prozess kann Jahre dauern. Dann bleibt lange unklar, wie viel Sie nun genau zurückbekommen und ob sich Widerruf und Rückabwicklung der Verträge tatsächlich lohnen.
Lohnt sich ein Widerruf für mich dann überhaupt?
Dies lässt sich nicht pauschal mit ja oder nein beantworten. Es kommt immer auf den Einzelfall an. Zudem liegen bislang erst wenige Gerichtsurteile vor, die sich auch noch widersprechen, so dass sich die Waagschale der Rechtsprechung noch zur einen oder anderen Seite neigen und grundlegend ändern kann.
Da die Streitwerte für die Verfahren meist sehr hoch sind (regelmäßig im fünfstelligen Bereich), ist auch das Kostenrisiko für Sie erheblich. Auch nimmt ein Prozess – über mehrere Instanzen – meist mehrere Jahre in Anspruch. All dies sollten Sie vorher abwägen.
Dieser Inhalt wurde von der Gemeinschaftsredaktion in Zusammenarbeit mit der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen für das Netzwerk der Verbraucherzentralen in Deutschland erstellt.