Wohnen in Grossbritannien und vor allem in London ist noch teuer, aber inzwischen ein schwieriges Geschäft. Countrywide, der grösste kotierte Immobilienmakler des Landes mit über 10 000 Angestellten, hat Anfang August bei Investoren um Hilfe gebeten. 140 Mio. £ (180 Mio. Fr.) müssen über die Ausgabe neuer Aktien in die Kasse kommen, sonst droht der Kollaps wegen Überschuldung. Der Betrag entspricht mehr als dem Dreifachen der Marktkapitalisierung. Mit diesen Problemen ist Countrywide nicht allein: 5000 britische Immobilienagenturen seien insolvenzgefährdet, schrieb die Wirtschaftsberatungsgesellschaft Moore Stephens Ende Juli. Das entspricht rund einem Fünftel der Branche.
Die Branche hatte in den vergangenen Jahren nur Wachstum gekannt – wobei der Aufschwung letztlich eine Erholung von der globalen Finanzkrise war. Im Jahr 2006, kurz vor der Krise, wurden laut der Steuerbehörde saisonbereinigt knapp 1,7 Mio. Wohnimmobilien im Vereinigten Königreich verkauft. 2011 waren es nur noch 880 000, 2016 aber wieder 1,2 Mio. Seither zeigt der Trend erneut nach unten: Im Juni 2018 lagen die Verkäufe um 6% niedriger als im Januar 2017. Die Preise hatten zuvor ein Niveau erreicht, das die Suche nach bezahlbarem Wohnraum oben auf der Sorgenliste der Briten und auf den Titelseiten der Zeitungen hielt. Mit dem Brexit-Entscheid im Juni 2016 verdüsterten sich die Wirtschaftsaussichten und damit auch die Perspektiven für die Immobilienbranche.
Countrywide sprach in den vergangenen acht Monaten vier «Gewinnwarnungen» aus, bereitete die Anleger also auf einen schlechter als erwarteten Geschäftsverlauf vor. Tatsächlich bildete sich der Umsatz im ersten Halbjahr 2018 im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um knapp 9% auf fast 300 Mio. £ zurück. Aufgrund hoher Abschreibungen resultierte ein Vorsteuerverlust von 243 Mio. £. Beobachter erachten es als Fehler, dass Countrywide den Betrieb in den vergangenen Jahren stark zentralisiert und das Niederlassungsnetz ausgedünnt hat, obgleich in dem schwierigeren Marktumfeld mehr Einsatz an der lokalen Verkaufsfront gefragt gewesen wäre. Die Nettoschulden waren Ende Juni 22 Mal so hoch wie der Betriebsgewinn.
Die Immobilienagentur will die neuen Aktien mit einem hohen Abschlag ausgeben. Das hat den Kurs noch ein paar Stockwerke tiefer in den Keller geschickt, auf derzeit gerade einmal £ 0.14. Beim Börsengang im Jahr 2013, als der Immobilienaufschwung an Tempo gewann, hatten Investoren noch mehr als 3 £ gezahlt. Manche hätten das Geld besser in ein Haus oder eine Wohnung gesteckt – denn deren Preise befinden sich nicht im freien Fall. Allerdings wachsen sie im Landesdurchschnitt nur noch langsam, nämlich laut der Bausparkasse Nationwide um rund 2 bis 3% in den vergangenen zwölf Monaten. Für das Gesamtjahr 2018 erwartet das Institut ein Plus von noch 1%. Ein wesentlicher Grund für die stabilen Preise ist das knappe Angebot: Grossbritannien leidet seit Jahren unter einem Mangel an Wohnraum, weil zu wenig gebaut wird.
Die Preise fallen nur dort, wo sie in den Jahren vor dem Brexit-Votum tatsächlich überhitzt waren: in den bevorzugten Quartieren Londons. An Toplagen in der Hauptstadt waren Wohnimmobilien laut der Agentur LCP im Juni um 8% günstiger als vor einem Jahr und damit so teuer wie zuletzt vor vier Jahren. Neben dem kommenden Brexit, der die Attraktivität der Hauptstadt für Ausländer infrage stellt, drückt eine Erhöhung der Stempelsteuer auf Luxusliegenschaften auf die Nachfrage. Im Rest der Stadt sind die Wohnungspreise auf Jahressicht etwa unverändert geblieben, aber das gesamte Transaktionsvolumen fiel dennoch um rund 8%.
Diese Mischung hat den Immobilienvermittler Foxtons, der sich auf London spezialisiert hat, hart getroffen. Einst waren die durch die Hauptstadt eilenden Foxtons-Makler ein Symbol für den Boom, die Umwälzungen in den Stadtvierteln und die Verdrängung alteingesessener Bewohner. Ihr Glanz hat gelitten: Der Foxtons-Aktienkurs ist von einem Hoch bei knapp 4 £ Anfang 2014 auf derzeit rund £ 0.60 gefallen. Foxtons schrieb im ersten Halbjahr einen Vorsteuerverlust von 2,5 Mio. £; im Vorjahreszeitraum war noch ein Gewinn von 3,8 Mio. £ angefallen. Es ist der erste Verlust des Unternehmens seit dem Börsengang im Jahr 2012. Schuld an den roten Zahlen sind steigende Kosten in Verbindung mit einem Rückgang des Umsatzes um 10%. Die abgewickelten Immobilienverkäufe sanken um einen Viertel, während die vermittelten Vermietungen stabil blieben.
Eine Ruhepause ist den traditionellen Maklern aber nicht vergönnt. Ihnen erwächst immer mehr Konkurrenz durch günstige Online-Anbieter wie Purplebricks, die keine Niederlassungen pflegen und Armeen von Maklern aufbieten, sondern ihre Dienste über das Internet abwickeln. Purplebricks verlangt keine Kommission für die Vermittlung von Käufern oder Mietern, sondern eine Fixgebühr – mit Erfolg: Der Umsatz kletterte von 3,4 Mio. £ im Jahr 2015 auf 93,7 Mio. £ im Geschäftsjahr 2018 (per Ende April). Die 2012 gegründete Firma ist inzwischen auch in Australien und in den USA tätig. Analytiker erwarten den ersten Vorsteuergewinn zwar erst für 2020, aber der seit Anfang 2017 anziehende Aktienkurs legt nahe, dass Investoren diesem Geschäftsmodell mehr zutrauen als jenem alter Platzhirsche wie Countrywide und Foxtons.
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