Ist Deutschland erneut „der kranke Mann Europas“? Die Frage wird in den Medien neu diskutiert, rund 20 Jahre nachdem der britische „Economist“ die größte Volkswirtschaft Europas mit dieser Behauptung konfrontiert hat. Auch aktuell werden vor allem strukturelle Ursachen als Gründe für die gegenwärtige Wachstumsschwäche identifiziert. Ist dies nur Schwarzmalerei oder erleben wir einen echten Niedergang? In einer aktuellen Umfrage wurden rund 1.400 Investment Professionals der Deutschen Vereinigung für Finanzanalyse und Asset Management (DVFA) zu diesem Thema befragt. Peter Thilo Hasler, Vorstand der DVFA, erklärt: „Tatsächlich sehen wir eine klare Tendenz, dass die Experten der Finanzindustrie viele Probleme als strukturell begreifen.“ Sein Vorstandskollege Roger Peeters ergänzt: „Themen wie Bürokratie, hohe Steuerlast und ein zu teurer Sozialstaat werden als wichtigste Probleme anerkannt. Da verwundert es nicht, dass die Experten vor allem die Politik als Verantwortliche benennen.“ In der ersten Frage wurde nach den Ursachen der Wachstumsschwäche gefragt. Die Mehrheit der Befragten sieht vor allem strukturelle Ursachen als verantwortlich, während es Uneinigkeit über mögliche Lösungen gibt: 51 Prozent sehen keine kurzfristige Lösungsmöglichkeit, während 44 Prozent eine grundlegende Rosskur nach dem Vorbild Thatchers befürworten. Lediglich drei Prozent halten den Standort Deutschland für „kerngesund“. Ebenso wenige halten Kritik am Standort für interessensgeleitet. Die DVFA Investment Professionals sollten aus insgesamt sechs Faktoren jene identifizieren, die sie als relevant für die Krise einstufen. Alle Antwortmöglichkeiten erhielten hohe Zustimmungswerte. Besonders herausstechend war die Bürokratie, die von 76 Prozent der Befragten genannt wurde. An zweiter Stelle steht der ausgeuferte Sozialstaat mit 56 Prozent der Stimmen. 42 Prozent sehen die hohe Steuer- und Abgabenlast als Problem. Eine klare Mehrheit von 65 Prozent sieht die Politik als Verantwortlichen für den aktuellen Zustand des Wirtschaftsstandorts Deutschlands. Die größten Defizite werden bei den Themen Steuern, Bürokratie, Energieversorgung, Zuwanderung und Bildung diagnostiziert. In Bezug auf Lösungsmöglichkeiten fordern 83 Prozent einen massiven Bürokratieabbau und die Prüfung oder Abschaffung überflüssiger Vorschriften. 49 Prozent sehen eine Senkung von Steuern und Abgaben als möglichen Weg an. Arbeit und Investitionen müssen sich wieder lohnen. 36 Prozent der DVFA-Professionals sind der Meinung, dass die Zuwanderung, insbesondere qualifizierter Arbeitskräfte, deutlich vereinfacht werden muss, um entstehende Lücken zu schließen, wenn mittelfristig die Babyboomer in den Ruhestand gehen. Elf Prozent machen dagegen die Schuldenbremse als Ursache aus und plädieren dafür, sie abzuschaffen und Deutschland zusätzlich zu verschulden, um Wachstum zu generieren.