Kultige Kneipen, alternative Lädchen und ein bisschen Kleinstadt-Gefühl: Das Bremer Steintorviertel hat einen ganz eigenen Charme und erfreut sich seit Jahren wachsender Beliebtheit. Das macht sich auch an den Wohnungspreisen bemerkbar. In den vergangenen Jahren sind die Mieten in dem Szeneviertel um etwa 30 Prozent gestiegen. Die Bewohner der Schweizer Straße 3d sind davon nicht betroffen. Vor etwa sieben Jahren haben sie ihr Haus vom Voreigentümer gekauft – und sind damit möglichen Investoren zuvorgekommen.
Moritz Holtappels lebte bereits seit einiger Zeit in dem Mehrfamilienhaus, als die damaligen Eigentümer beschlossen, die Immobilie loszuwerden. Im Internet sei das Objekt als „Haus mit ausbaufähiger Rendite“ beworben worden, sagt er. Da hätten die Mieter Alarm geschlagen. Sie fürchteten höhere Mieten und hatten Sorge, sich die Wohnungen langfristig nicht mehr leisten zu können. Die Hausgemeinschaft tat sich zusammen und stieß bei der Suche nach einer Lösung auf das Mietshäuser Syndikat, einem losen Solidarverbund von Hausprojekten.
Die Idee dahinter ist derzeit besonders aktuell. Allein innerhalb der vergangenen vier Jahre sind die Mieten in Deutschland um 30 Prozent gestiegen. Im selben Zeitraum hat das durchschnittliche Netto-Einkommen um zehn Prozent zugelegt. Die Nachfrage nach bezahlbarem Wohnraum steigt, ebenso wie das Interesse von Investoren. Das Mietshäuser Syndikat ist allerdings nicht profitorientiert.
„Das Konzept basiert auf dem Gedanken des Gemeineigentums“, sagt Holtappels. Gemeinsam mit den anderen Bewohnern gründete er einen Hausverein, eine Voraussetzung, um Teil des Mietshäuser Syndikats zu werden. Nach kurzen Verhandlungen kaufte der Verein das Haus und trat dem Verbund bei. Dank der Struktur des Syndikats ist die Immobilie nun quasi unverkäuflich.
Haus-GmbH statt Eigentümergemeinschaft
Im Mietshäuser Syndikat sind deutschlandweit Hausprojekte in einem losen Verbund organisiert. Jedes Projekt ist eine eigenständige GmbH und verwaltet sich selbst. Dabei gibt es jeweils zwei Gesellschafter: den aus der Hausgemeinschaft bestehenden Verein und das Mietshäuser Syndikat. Der Verein entscheidet frei, über alle Belange des Hauses – von der Wandfarbe bis zur Suche nach neuen Mietern. Sollte jedoch der Verkauf einer Immobilie zur Debatte stehen, hat das Syndikat ein Vetorecht. Ein Haus, das einmal im Verbund aufgenommen wurde, ist in der Regel auf dem freien Markt nicht mehr verfügbar.
Entstanden ist das Syndikat Anfang der Achtzigerjahre in Freiburg im Breisgau. Die Verantwortlichen eines erfolgreich umgesetzten Hausprojekts suchten nach einer Möglichkeit, ihre Erfahrungen nachhaltig nutzbar zu machen. „Man muss ja nicht bei jedem Projekt das Rad neu erfinden und immer wieder dieselben Fehler wiederholen“, sagt Jochen Schmidt, der seit Jahren im Verbund aktiv ist.
So entwickelte sich die Idee zu dem Solidarverbund, in dem erfahrene Mitglieder Anfängern beratend zur Seite stehen. Der Hauptsitz des Verbunds ist in Freiburg. Das Syndikat ist als Verein organisiert. Dementsprechend gebe es formell einen Vorsitzenden, aber alle Mitglieder seien gleichberechtigt, so Schmidt.
Aus der Tradition der Hausbesetzerszene entstanden, gehören dem Verbund mittlerweile 128 Hausprojekte an. Politisch sei der Verbund allerdings nicht, betonen Schmidt und auch Holtappels. Welche Projekte in den Verbund aufgenommen werden, wird auf der jährlichen Mitgliederversammlung entschieden. „Von etwa 16 Gruppen, die sich vorstellen, werden 15 akzeptiert. Das liegt an der guten Vorarbeit“, schätzt Schmidt. Bevor die Gruppen sich den Fragen der Versammlung stellen, liegt bereits ein langer Weg hinter ihnen.
Finanzierung liegt beim Hausverein
Der beginnt normalerweise mit dem Kontakt einer Regionalberatung. Holtappels ist mittlerweile in Norddeutschland als ehrenamtlicher Berater tätig. „Das Schöne am Syndikat ist, dass dahinter keine politische Ideologie steckt. Die Menschen, die mitmachen wollen, sind dementsprechend recht unterschiedlich. Bei uns leben Studenten, Juristen, Sozialpädagogen. Ich habe Meeresbiologie studiert“, sagt er. Holtappels berät häufig Gruppen, die noch in der Findungsphase sind, aber auch Hausvereine, die kurz vor Verkaufsabschluss stehen.
„Das Wichtigste ist ein solider Finanzierungsplan“, sagt er. Anders als viele denken, übernehme das Syndikat die Finanzierung nicht. Zwar gebe es einen Solidarfonds, in den alle einzahlen und das Syndikat zahle als Anschubfinanzierung 12.400 Euro, also etwa die Hälfte des Stammkapitals für die GmbH. Gesellschafterkredite seien jedoch die Ausnahme.
„Der Kaufpreis für unser Haus lag bei etwa 870.000 Euro. Das war 2010, der frühere Eigentümer kam uns da auch etwas entgegen. Die 25 Prozent Eigenkapital, die die Bank forderte, haben wir teilweise durch Direktkredite aus dem Freundes- und Bekanntenkreis abgedeckt“, sagt Holtappels. Da Direktkredite im Fall einer Insolvenz nachrangig zu Bankkrediten bedient werden, werden sie von Banken als Eigenkapital anerkannt.
Und wenn die Schulden bezahlt sind?
Über die Miete zahlt die Haus-GmbH dann die Kredite ab. Die Bewohner der Schweizer Straße zahlen momentan beispielsweise etwa 80 Prozent der Kaltmiete für die Finanzierung – also die Tilgung plus Zinsen. Zusätzlich wird der Solidarbeitrag für das Syndikat gezahlt. Dieser beginnt bei mindestens 0,10 Euro pro Quadratmeter im Monat und steigt jedes Jahr um mindestens 0,5 Prozent der Kaltmiete des Vorjahres. 730 Quadratmeter Wohnfläche bietet das Haus in Bremen. Die Miete liegt bei 6,86 Euro pro Quadratmeter.
Ist ein Hausprojekt schuldenfrei, würden die Mieten tendenziell günstiger. „Allerdings fallen sie nie auf die bloßen Betriebskosten“, sagt Holtappels. Die Finanzierung der Projekte sei oft auf einen sehr langen Zeitraum angelegt. Bis dahin würden häufig Sanierungs- und Modernisierungsarbeiten fällig. Außerdem steige auch der Solidarbeitrag, so Holtappels.
Das Bremer Hausprojekt wird 2040 schuldenfrei sein. Bis dahin werde der Solidarbeitrag auf 16 Prozent der Kaltmiete gestiegen sein, so Holtappels. Da das Syndikat die Hälfte des Stammkapitals für jede Haus-GmbH zahlt, macht der Beitrag neue Projekte erst möglich.
Begeistert von dem Konzept
Das Konzept des Syndikats sei allerdings nicht für jeden etwas, sagt Hans von Bülow. Der Handwerker sitzt in seinem Büro im Handwerkshof Ottensen. Der moderne Neubau ist ebenfalls Teil des Verbunds. Anders als bei einer Eigentümergemeinschaft bleibe man im Syndikat nämlich Mieter, so von Bülow. Im Falle eines Auszugs werde niemand ausgezahlt – dafür sei man aber auch die Kredite los. Für neue Mieter gelten dann dieselben Bedingungen, wie für alteingesessene Mieter. Etwa vier Anfragen für Beratungen erhält von Bülow im Monat. „Nur ein Bruchteil der Gruppen, die ich in Hamburg berate, tritt später auch dem Syndikat bei“, sagt er.
Von Bülow ist nicht nur mit dem Handwerkshof Syndikatsmitglied. Er wohnt auch in einem Hausprojekt. Nur so kam er überhaupt auf die Idee, das Modell auch gewerblich zu nutzen. Gemeinsam mit 14 anderen Einzelbetrieben gründete von Bülow 2011 den Verein Handwerkshof Ottensen. Getrieben von dem Verdrängungsdruck im Hamburger Stadtteil Altona suchten die Kleinunternehmen nach neuen Räumen für ihre Unternehmen.
Der Verein bewarb sich um den Kauf einer städtischen Fläche, die seit mehr als dreißig Jahren brachlag. Das Konzept überzeugte – zunächst die Stadt und dann auch die Mitgliederversammlung. „Als rein gewerbliches Projekt war der Handwerkshof zunächst umstritten“, sagt von Bülow. Mittlerweile gebe es deutschlandweit jedoch ähnliche Projekte.
„Hier zieht keiner mehr aus“
2015 wurde der mehrstöckige Neubau in Altona eröffnet. Etwa drei Millionen Euro und unzählige Arbeitsstunden investierte der Hausverein in die Anlage. Unterstützung dabei gab es auch von der Handwerkskammer und der Hamburger Wirtschaftsbehörde. „Hier zieht keiner mehr aus, höchstens altersbedingt“, sagt von Bülow. Im Vergleich zum Wohnprojekt gehe es im Handwerkshof weniger emotional zu. „Die Planung verlief rationaler. Jeder wusste, was er braucht und danach wurde geplant“, sagt er.
Außer von Bülows Bauberatung, gibt es im Handwerkshof unter anderem eine Glaserei, eine Tischlerei, eine Polsterei, einen Harfenbauer und eine Shiatsu-Praxis. Mittlerweile gebe es zwischen den einzelnen Betrieben auch private Überschneidungen – und gemeinsame Projekte. „Es gibt gewisse Synergieeffekte im Haus, von denen alle profitieren“, sagt von Bülow. „Außer vielleicht die Anwälte hier, die bekommen weniger Aufträge ab“, fügt er hinzu.
Der Bedarf wächst
Auch Shiatsu-Praktikerin Silke Nachtigall profitiert von der besonderen Lage ihrer Praxis: „Einige Patienten kommen zu mir, weil sie den Handwerkshof kennenlernen wollen“, sagt sie. Mittlerweile habe von Bülow sie mit seiner Begeisterung für das Mietshäuser-Syndikat auch privat angesteckt. Eine Hausgemeinschaft habe sich schon gefunden. „Nur das Haus fehlt uns noch“, sagt Nachtigall.
„Es gibt einfach nicht genügend Gebäude“, stellt Holtappels in seinen Beratungen immer wieder fest. Durch den Immobilienboom sei es zunehmend schwieriger, bezahlbaren Wohnraum zu finden, der Bedarf wachse jedoch stetig. Das macht sich auch an den Mitgliederzahlen des Syndikats bemerkbar. Daher werde im Verbund schon länger über die Zukunft diskutiert. Mit steigender Mitgliederzahl gestalte sich die Verwaltung des Syndikats zunehmend komplizierter. „Es gab immer wieder die Forderung, die Mitgliederzahl zu deckeln. Ich denke aber, unsere Strukturen sollten mitwachsen. Vielleicht wird man sich künftig regionaler organisieren müssen“, sagt von Bülow.
Bisher jedoch funktioniere das Konzept noch in gewohnter Struktur – und zwar so gut, dass es längst Nachahmer im Ausland gibt. In Österreich, Frankreich und den Niederlanden wurde das Modell bereits kopiert. „Dieser Ewigkeitsgedanke hinter dem Syndikat überzeugt einfach immer mehr Menschen, denen es nicht um Profit geht“, sagt von Bülow.
Quelle: SPIEGEL Online
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